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Wir ernten nicht nur Gemüse. Wir vermehren auch Saatgut.
Jedes Jahr vermehren wir Saatgut ausgewählter Gemüsesorten oder auch Blumen, meist im Auftrag der Bingenheimer Saatgut AG oder der Schweizer Sativa Biosaatgut GmbH. Über die Jahre ist eine beachtliche Liste von Kulturen entstanden, die wir vermehrt haben: Aubergine, Gurke, Möhre, Lauch, Tomaten, Paprika, Rote und Gelbe Bete, Mangold, Kornblume, Ringelblume, Kümmel… Wofür all die Mühe?
Alle Gemüsebaubetriebe brauchen gesundes, keimfähiges Saatgut. Die Samen mancher Gemüse sind aber nur ein bis zwei Jahre keimfähig, so dass jährlich neues Saatgut produziert werden muss. Schnittlauch und Pastinaken sind Beispiele hierfür. Die Samen von Tomaten hingegen keimen nach ein paar Jahren sogar besser als im Jahr nach ihrer Ernte. Viel länger als fünf bis sieben Jahre sollte man sie aber nicht lagern.
Und natürlich hängt es auch sehr von der richtigen Lagerung ab, wie lange ein Samen keimfähig bleibt. Ideale Lagerung bedeutet kühl und dunkel, geringe Luftfeuchtigkeit und vor allem möglichst geringe Temperaturschwankungen.
Der Anbau zur Saatgutvermehrung bedeutet einiges an Aufwand und Geduld. Aber wenn alles klappt, lohnt er sich. Leider ist das nicht jedes Jahr der Fall.
Jede Pflanze produziert Dutzende bis Hunderte oder gar Tausende an Samen, so dass keine riesige Fläche benötigt wird, um viel Saatgut zu ernten. Doch es braucht unter Umständen viel Zeit. Möhren und Mangold sind zum Beispiel zweijährig, das heißt sie blühen erst im zweiten Jahr nach der Aussaat und müssen somit gut über den Winter gebracht werden. Auch unser Lauch steht vom Frühsommer des einen bis zum Spätsommer des nächsten Jahres auf dem Acker, bis wir endlich Samen ernten können.
In einer so langen Zeit kann viel geschehen. Starker Frost, Stürme, Gewitter und hungrige Feldmäuse sind nur ein paar Beispiele dafür, was den Saatgutertrag schmälern oder gar zunichtemachen kann.
Die Vermehrungskulturen brauchen wie auch unser anderes Gemüse Betreuung: Beikräuter müssen gejätet werden. Wilde Arten der gleichen Pflanzengattung müssen entfernt werden, weil sie sich sonst einkreuzen könnten. Blühender Lauch braucht ein Stützgerüst.
Um bestmögliches Saatgut zu erhalten, muss der Erntezeitpunkt stimmen. Möglichst viele Samen sollen ausreichend reif sein, um keimfähig zu sein, aber möglichst wenige Samen sollen vor dem Sammeln oder Dreschen schon heruntergefallen sein. Das Wetter muss trocken sein, und die Samen müssen nach der Ernte schnell weiter getrocknet werden, damit sich keine Pilzinfektionen ausbreiten. Wir nutzen zu diesem Zweck eine eigene Trocknungsanlage mit Gebläse.
Wenn der Anbau bis zur Ernte geglückt ist, steht immer noch die bange Frage im Raum: Wie hoch ist die Keimfähigkeit des Saatgutes? Je nach Gemüseart unterscheidet sich der Ankaufstandard, und die Samen sollen über ihre ganze Verkaufsperiode eine Mindestkeimfähigkeit behalten: bei Lauch und Petersilie werden 75 Prozent Keimfähigkeit akzeptiert, bei Mangold sollte sie über 85 Prozent liegen und bei Tomaten wären 90 Prozent wünschenswert.
Vor dem Dreschen muss das Saatgut genau geprüft werden. Ist es trocken genug? Ist es reif genug?
Nach der Ernte schicken wir das Saatgut in großen Säcken per Spedition zur Bingenheimer Saatgut AG oder zu Sativa. Je nach Gemüseart muss das Saatgut dort mit Spezialmaschinen gedroschen, gereinigt und nach Korngrößen sortiert werden. In den firmeneigenen Laboren werden die Samen auf anhaftende Schaderreger untersucht und bei Bedarf mit warmem Wasser oder Dampf behandelt, um die erforderliche Keimfähigkeit zu verbessern.
In schlechten Jahren kann es aber auch immer wieder mal passieren, dass die geernteten Samen die benötigte Mindestkeimfähigkeit nicht erreichen. Das ist der Moment der großen Enttäuschung bei allen Beteiligten: Die Saatgutfirma kann ihre Kunden nicht beliefern, und wir haben viel Zeit investiert, die nicht entlohnt wird.
Warum also der ganze Aufwand bei so viel Risiko? Es gibt viele gute Gründe!
Alle sitzen im selben Boot. Wir selbst brauchen jedes Jahr Saatgut vieler, vieler Gemüsesorten. Wenn es niemanden gäbe, der sie regelmäßig vermehrt, woher bekämen wir das Saatgut? Wenn wir - und andere engagierte Gartenbaubetriebe - uns nicht selbst um den Erhalt samenfester Gemüsesorten kümmern, dann würden manche davon binnen weniger Jahre vom Markt verschwinden. Schlussendlich laufen wir Gefahr, sie auf immer zu verlieren, wie leider schon viele traditionelle Sorten zuvor. Die Antwort ist einfach: Wir müssen uns selbst drum kümmern.
Denn wir wollen so unabhängig wie möglich bleiben und unser Saatgut nicht bei Monsanto oder anderen Agrarriesen bestellen müssen!
Die großen Saatgutanbieter vertreiben bei vielen Arten Hybrid-Saatgut. Hybride sind Kreuzungen von zwei genetisch sehr verschiedenen Elternpflanzen. Deshalb kommen aus den Samen ihrer gleichförmigen Früchte ganz verschiedene Tochterpflanzen mit verschiedenen Früchten heraus - sofern die Samen überhaupt keimfähig sind. Sie sind somit nicht nachbaufähig. Bei einer Gemüsesorte sollen schließlich alle Früchte möglichst ähnlich aussehen.
Neben dem offensichtlichen Sinn der Saatgutvermehrung gibt es noch einen weiteren triftigen Grund: Es macht unendlich viel Freude, eine Pflanze von der Aussaat über das Keimen, Wachsen und Blühen bis zur Samenbildung zu begleiten. Und sich im nächsten Jahr zu erinnern, woher der soeben gesäte Same stammt. Probiere es doch selbst einmal in Deinem Garten aus!